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Der Fluch des Ost-Struwwelpeter Part 1

Posted in - Bücher & Entertainment on November 16th 2017 0 Comments

Sie waren die bekanntesten Anti-Helden der DDR, sie wurden zum Gespött einer ganzen Generation Kinder und Jugendlicher. Aber was ist aus ihnen geworden? Ich habe mich auf die Spurensuche nach dem Tierquäler Matthias, der faulen Angelika und den anderen Knallfröschen aus dem Buch: „So ein Struwwelpeter“ gemacht.

Teil 1: Der Kaputtmacher Siegfried

Siegfried K. lacht aus vollem Herzen, als ich ihm am Telefon mein Anliegen schildere und sagt: „Ach du Scheiße, wen soll denn dit noch interessieren? Kennt das Buch heutzutage überhaupt noch jemand?“

Aber er lässt sich trotzdem auf ein Interview ein. Es ist ein warmer Frühlingstag, als ich ihn auf seinem Bauernhof in der Uckermark treffe. Er ist groß, schlank und hat seine langen grauen Haare zu einem Zopf gebunden. „Hier wohn ick seit 20 Jahren. War alles verfallen, hab ick mit meiner Ilse allene wieder uffjebaut. Komm ick zeig dir erstma allet.“

Stolz führt er mich über seinen Hof, zeigt mir das Wohnhaus, den ehemaligen Stall, der jetzt eine Töpferwerkstatt ist, den weitläufigen und bunten Bauerngarten und winkt mich verschwörerisch zu einem Gebäude aus Backstein. „Hier dit is mein neuet Spielzimmer. Hier brau ick Bier. Können wa denn gleich ma welchet trinken. Ick red nich jern, wenn ick Durscht hab.“ Er drückt mir einen schweren Tonkrug in die Hand, nimmt selber auch einen und dirigiert mich auf die gemütliche Terrasse. Dort trinken wir ein Glas Bier und er beginnt zu erzählen:

„Also so richtisch witzisch war det eijentlich nie in meinem Leben. Ick war een echter Tolpatsch. Wat ick anjefasst hab, dit jing kaputt. Meene Eltern und die anderen Alten dachten alle, ick mach dit mit Absicht, aber dit war einfach so ‘n Körperklaus-Ding. Ick hatte meene Hände einfach nich im Griff. Als mein Vater dann die Schnauze voll hatte und ick nur noch Lumpen zum anziehen jekriegt hab, da war denn allet vorbei. Die anderen Kinder mochten mich vorher schon nich, aber denn war ick een echter Aussenseiter. Voll drin in die Pubertät und sah aus wie ne Vogelscheuche.

War jenau die Zeit, wo die ersten Punks in Ostberlin auftauchten und naja, da wollt ick mitmachen. Hab ick mir selbst die Haare jeschnitten, dit sah richtig Scheiße aus und von der Wodka-Kerstin: „Ick mach Kaputt“ uff den Mantel sticken lassen. Denn bin immer mit die anderen zum Kulturpark im Plänterwald jejangen. Aber die mochten mich och nich. Ick war denen irjendwie zu extrem, vor allen nachdem ick ausversehn die „Sex Pistols“ LP von Moppi zerbrochen hab. Nur die Jule, die mochte mich. Und mit der war ick dann och zusammen. Dit war schön. Wir ham im Prenzelberg in so ner Ranzwohnung jehaust, da war eh schon fast allet kaputt und ick konnte nich noch mehr zerstören. Kohlen ham wa im Keller jeklaut und Essen hat Jule von Arbeit mitjebracht. Die hat in der Kantine von Stern Radio jeknufft. Ick hab allet mögliche versucht, bin aber immer wieder rausjeflogen, weil ick mehr Schaden anjerichtet hab, als allet andere.

Und denn hab ick in der Kneipe Uhrmachermeister Müller jetroffen. Der hat mir ne Weile beobachtet, mir’n Bier ausjejeben und jesacht, ick soll am nächsten Tach vorbeikommen. Probearbeiten. Ick dachte der verarscht mich. Bin aber trotzdem hin am Morjen. Und da hat der mir nen selbstgebrannten Baldrianschnaps jejeben, ne kaputte Uhr und hat jesacht: „Mach die ma wieder heile“ und dit hab ick jemacht. Dit jing von janz allene.“

Siegfried K. gießt uns neues Bier ein, schaut zufrieden auf sein Anwesen und lächelt vergnügt.

„So einfach war dit, dit brauchte bloß een Glas Baldrianschnaps. Seit dem trink ick jeden Tach eenen, und so bin ick funktionierender Alkoholiker und Uhrmacher jeworden. Der Müller war een toller Lehrmeister und den Laden hab ick ’87 übernommen, als er in Rente jejangen is.  Bis ’96 hab ick den betrieben, denn hat dit keenen Sinn mehr jemacht. Und denn bin ick mit meiner Ilse hier rausgezogen und wir ham uns unseren Traum erfüllt. In Berlin könnt ick keenen Tag mehr leben, dit is mir allet viel zu hektisch jeworden. Aber hier draußen, da fühl ick mir richtig wohl.

Und weeßte wat? Manchmal, wenn ick richtig jute Laune hab, denn geh ick in meinen Schuppen und mach irjendwat kaputt. So richtig mit Knall und Peng und Rums. Dit tut mir denn jut!

Mikis Wesensbitter

Fortsetzung folgt!

Cover Struwwelpeter

 

Das Buch „So ein Struwwelpeter“ erschien erstmals 1970 im Kinderbuch Verlag Berlin. Es ist immer noch erhältlich und erscheint mit regelmäßigen Neuauflagen im Beltz Verlag. Die Originalgrafiken stammen von Karl Schrader. Die Bildrechte liegen beim Beltz Verlag.

 

 

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