WENN DIT KEENE DIKTATUR IS, DENN IS DET MINDESTENS N DIKTAT!
Vorweihnachtszeit 2020. Von Romantik keine Spur. Dafür herrschen „Lockdown-Light“ und Kontaktbeschränkungen. Eine Geschichte- Teil 1
“Ach, ist das schön, dass wir uns endlich mal wiedersehen!” sagte Atze und wollte mich umarmen. Instinktiv wich ich erst mal einen Schritt zurück, dann ging ich wieder auf ihn zu und wir klopften uns auf die Schultern. Den Kopf dabei natürlich zur Seite abgewendet.
„Ja, find ich auch. Ist schon wieder ein ganzes Jahr her.“
„Echt, so lange schon? Aber du hast Recht, im Frühling kam die Corona-Scheiße, im Sommer war viel zu tun…“
Als wir am Küchentisch saßen und gerade angestoßen hatten, klingelte es.
„Dit wird Kalle sein. Ich geh ma aufmachen.“
Kalle stand vor der Tür, schaute mich fragend an und inspizierte das Treppenhaus noch mal, bevor er in die Wohnung kam. „Brauch nen Besen!“ sagte er, während er sich die Schuhe auszog. Ich holte ihm den Besen aus der Küche und er lief durch die Wohnung und stieß mit dem Besenstiel gegen die Rauchmelder, so dass diese aus der Verankerung fielen. Geschickt fing er sie auf und legte sie ordentlich ins Regal. „Viere? Oder noch mehr?“
„Vier!“
„Jut. Denn is dit schon ma erledigt.“
Als nächstes musterte er die Küche, schaltete das Deckenlicht aus, schaute unter die Couch, holte einen Zollstock aus der Tasche und verlangte 20 Bücher von mir. Genre egal.
Ich holte ihm die Bücher, er verteilte die gleichmäßig unter den Füßen der Couch und als das erledigt war, ließ er sich auf einen Stuhl fallen, machte sich ein Bier auf und sagte: „N‘ Abend Jungs. Jetzt können wir uns dit jemütlich machen.“
„Gemütlich im Dunkeln?“
„Dann mach halt ne Kerze an“
„Was war das gerade mit den Rauchmeldern?“ fragte ich ihn.
„Rauchmelder? Dit gloobste wa? Haste dich ma jefragt, warum die ausjerechnet jetzte in allen Wohnungen einjebaut werden mussten? Dit sin Kameras. Die überwachen uns rund um die Uhr. Is bei mir allet gleich wieder rausjeflogen die Scheiße.“
„Okay, wußte ich nicht.“ antwortete ich.
„Wissen die wenigsten. Prost““
„Sach ma Kalle, warum bist‘n du so dünn?“ fragte Atze.
„Wegen Homeoffice. Als dit anfing im März, hab ick den janzen Tach nur jenascht und jeknuspert. Denn hab ick dit mit FDH probiert, aber die Hälfte von fünf Tüten Chips sin ja immer noch zweieinhalb Tüten. Naja und dann hab ick mit DDD anjefangen.“
„3xD? Dit is ne Riesen-Möpse-Größe?“
„Nee, dit is „Drink-Dit-Doppelte“. Fang schon Vormittag mit Sterni an und hab dann keenen Hunger mehr. Jehört Disziplin dazu, weil Essen darf man da echt nur dit lebensnotwendigste, also n paar Scheiben Pumpernickel. Vitamine und Mineralien sin ja im Bier jenuch drinne. Und du Atze? Hast ordentlich zujelegt, wa?“
„Och dit Homeoffice. Jetzt hat Jessica mich endlich da, wo sie mich haben will. Die kocht und backt von früh bis spät und in die Mittagspause wird jerammelt. 12 Kilo mehr seit März. Sport is ja verboten…“ sagte Atze resigniert.
„Kann ich das Licht jetzt wieder anmachen? Ich seh kaum was!“ fragte ich.
„Bist du varrückt? Haste ma jeschnallt, in wat für Zeiten wir leben?“
In dem Moment ging im Vorderhaus die Treppenbeleuchtung an, es wurde hell in der Küche und plötzlich war Kalle verschwunden.
„Reich ma dit Bier vorsichtig runter. Aber so, det man dit nicht sieht.“ rief es unter der Couch hervor.
„Kalle, dit ist die Treppenhausbeleuchtung. Nüscht weiter!“ versuchte ich ihn zu beruhigen.
„Ja dit denkst du! Können aber jenauso jut die Müller-Burschen sein!“
„Wat? Die Müller-Burschen? Haste zu viel „Gestiefelter Kater“ jesehen?“ kicherte Atze.
„Mach dich ma lustisch. Dit sin lauter abjehalterte Sozis, die durch die Häuser patrouillieren und Verstöße jejen die Corona-Ufflagen melden. Die ham Nachtsichtjeräte, Wärmebildsensoren und Richtmikrofone dabei. Janz übler Haufen!“
„So‘n Quatsch! Oder willste uns erzählen, det dit och noch die „Kalayci-Schwestern“ jibt?“
Unter der Couch erklang ein tiefes Stöhnen. „Sprich den Namen dieser Hexen niemals wieder aus! Die sind noch viel schlimmer. Die führen Listen mit Namen und Adressen von allen, die Alkohol kaufen. Das Netzwerk der Schlampen reicht inzwischen über die ganze Stadt. Und der Tag ist nicht fern, da werden wir alle in Entzugslager gesperrt, um dem Teufel Alkohol abzuschwören!“
„Du spinnst!“
„Achso? Komisch, wenn ich dir vor einem Jahr erzählt hätte, das alle Kneipen dicht sind und ab 23 Uhr Alkoholverbot herrscht, was hätteste denn da gesagt? Niemals? Sowas geht in Berlin gar nicht? Und nu, schau dich mal um. Jetzt ist dit illegal, wenn wir hier zu dritt sitzen und quatschen. “
„Stimmt, aber das ist ja auch nur vorübergehend, bis der Impfstoff da ist.“
„Vorübergehend? Alter, ist dir in diesem Scheißstaat dieset Wort mal begegnet? Nix is hier vorübergehend. Die probieren dit aus und dann wird dit beibehalten. Und wenn de dir erstma den Scheiß hast spritzen lassen, denn willste och ja nich mehr in die Kneipe oder zum Konzert. Dann willste nur noch arbeiten und schlafen. Dit is nämlich der Sinn von die Impfung.“
„Man oh man, Kalle. Du kannst aber och echt Jeschichten erzählen! Da wird mir echt Angst und Bange!“ sagte Atze gerade, als an die Wohnungstür gehämmert wurde.