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Reise durch die Zeit: Wie ich Unioner wurde

Posted in - Bier & Bücher & Entertainment on Januar 29th 2020 0 Comments

Mein erstes Union-Spiel war am 25.09.1982.

Ein folgenschweres Spiel. Nicht nur für mich, weil ich danach Unioner war, sondern auch für die Vereins-Historie. Denn wegen grober Unsportlichkeit bekam Union eine dreimonatige Platzsperre, musste Heimspiele in Cottbus und Dessau austragen. Tja und bekam die häßlichen Fangzäune hinter den Toren verpasst…

Aber dazu gibt es natürlich auch eine Geschichte! Und die heißt:

Dit jibt immer een erstet Mal

12:55 Uhr is Treffpunkt. Wenzel, du bist schon Dreiviertel da.“ bestimmte Kai, als wir nach dem Unterricht vorm Schultor standen

Wie? Warum muss ick denn früha da sein als ihr?“

Weil du‘n Lahmarsch bist. Und nich rennen kannst, wenn du die Zeit wieder verpennst. Wir warten nämlich nich uff dich.“

Manuela, du bringst vier Bier mit und du Kippen. Allet verstanden?“

Und wat machst du?“ fragte Manuela

Ick trag die Verantwortung. Bin schließlich der Einzige, der sich da auskennt. Jut, dann sehen wir uns in anderthalb Stunden.“

Auf dem Heimweg ging ich zum Lebensmittel Schulze. Das war der einzige Laden, wo sie nicht nach dem Ausweis fragten. Außer die fette Binder. Und die stand heute hinterm Ladentisch. Scheiße!

Eine Schachtel Club bitte“

Ausweis dabei?“

Nee den hab ick vajessen!“

Du bist doch noch nicht mal 13!“

Doch ick bin schon fast 17. Seh einfach jünger aus!“ versuchte ich es mit lügen und wurde natürlich rot dabei.

Klar! Und meene Großmutter hat Hodenkrebs. Club kriegste nich. Ne Schachtel „Neue Juwel“ kannste haben, die kooft eh keena!“

Jut, denn nehm ick die“

 

Zu Hause gab es Tempolinsen, wie jeden Samstag.

Muss nach dem Essen gleich los, geh mit Kai ins Astra“ erzählte ich meiner Mutter.

Nicht das ihr wieder Schweinskram guckt!“

Sowat kommt doch gar nicht in der Sonnabendnachmittagsvorstellung!“

Naja, wenn du mit Kai unterwegs bist, passieren ja immer die komischsten Dinge. Aber erst wäschst du ab!“

Ich war pünktlich. Kai und Manuela auch. Der dicke Wenzel allerdings nicht.

Manuela reichte das Bier rum.

Radeberger! Is dit ausm Westen?“ fragte Kai.

Nee aus Dresden. Ist wat besonderet. Hoffe mein Vati merkt nicht, das die fehlen. Sonst gibts wieder Dresche!“

Kai schaute auf die Uhr. „Na ist ja eijentlich och egal, wenn der Schwabel nicht kommt, dann haben wir ein Bier extra!“ stellte fest und hebelte für jeden von uns eine Flasche auf. Wir stießen an und tranken. Boah, schmeckte das eklig. Gab aber keiner von uns zu.

Als ich ihm eine Zigarette anbot schaute er mich mit großen Augen an.

Bist du Scheiße im Kopp? Neue Juwel? Sowat raucht doch kein normaler Mensch. Nich ma n Chemiker aus Leutzsch!“

Kann ick doch nüscht dafür, die fette Binder war im Laden.“

Na jut!“

Wir rauchten und kurz bevor die S-Bahn kam, tauchte auch Wenzel auf. Hochroter Kopf, atemlos und völlig schweißgebadet….

Durfte nich ohne Proviant los. Und meine Alte is nich ausm Knick jekommen mit schmieren!“

Er hatte ein dickes Stullenpaket unterm Arm. „Drei Schnitzelbrötchen und zwei Eierstullen. Reicht hoffentlich für den Nachmittag.“

Die Bahn war leer und Manuela schrieb mit Filzstift „The Teens“ an die Scheibe, während Wenzel die ersten zwei Schnitzelbrötchen verdrückte.

Berlin Hauptstadt der DDR Bierkrug

 

In Schöneweide herrschte totales Gedrängel an der Straßenbahnhaltestelle. In die erste Bahn passten wir nicht mehr rein, bei der zweiten ging es dann mit Ach und Krach. Festhalten musste sich niemand, umfallen ging nämlich nicht. Biertrinken auch nicht. Dafür herrschte große Stimmung.

Bei „Minenfelder, Stacheldraht, 30 Meter im Quadrat. Jetzt wisst ihr wo ich wohne, ich wohne in der Zone“ konnte ich mitsingen.

Hier du Spasti, halt mal“ grunzte mich ein Typ im Blaumann an und hielt mir eine Flasche Wermut hin. Ich nahm die Pulle und beobachtete, wie er mit einem Vierkant den Fahrkartenautomat aufschloß und die Rolle rausnahm. „Glotz‘n so? Brauch ick im Stadion!“ erklärte er.

Und dann waren wir da.

Wir tranken unsere Flaschen aus, warfen sie ins Gesträuch und stellten uns an der Kasse an. Beim anstehen mussten wir auch noch Wenzels Bier trinken, weil der meinte, uff leeren Magen könne er nichts trinken.

Und dann waren wir im Stadion. Wir drängelten uns durch die Massen und als wir es endlich geschafft hatten im Block auf Höhe der Mittellinie anzukommen, denn da stehen die coolen Leute, hatte Kai verkündet, merkten wir, das wir den dicken Wenzel verloren hatten.

Der is so fett, der kann nicht verbummelt jehn. Und im Notfall kann er uns ja über den Kindersuchdienst ausrufen lassen.“

Wir brüllten „Eisern Union“ und vorm Anpfiff flogen jede Menge Clopapier- und Fahrkartenrollen aufs Spielfeld. Jetzt verstand ich, was der Vogel in der Straba gemeint hatte.

Neben uns stand ein Jeanstyp mit fettigen Haaren und einer Flasche Wodka in der Hand.

Tach ihr Timurhelfer. Ick bin Jochen Dreikorn. Alt-Unioner und Sporttrinker. Wollt ihr‘n Schluck?“

Boah, wie hast die denn durch den Einlass gekriegt?“ fragte Kai ihn.

Na so wie immer, da, wo sich keena zu kontrollieren traut.“

Kai nahm einen Schluck und schüttelte sich. Ich lehnte ab, weil ich von dem Bier schon ordentlich angeballert war.

In der 30 Minute knallte Quade den Frankfurtern einen Ball ins Tor und wir rasteten alle aus. Das war das geilste, was ich bisher erlebt hatte. Wir brüllten, lagen uns in den Armen und sangen wie im Rausch: „Wir holen alles ab, wir holen alles ab. 2 Punkte für die Reichshauptstadt“

 

Wo geht man hier pissen?“ fragte ich Kai und der zeigte nach hinten. „Block raus, Treppe runter und dann an den Zaun. Riechste dann schon!“

Das stimmte, war auch nicht zu übersehen, denn überall am Zaun standen schwankende Männer, die pissten. Mir war das irgendwie unheimlich, aber das Bier musste einfach raus. Auf dem Rückweg verlor ich die Orientierung und wusste nicht, wo ich lang musste. Das passierte mir manchmal, wenn zu viele Menschen um mich herum waren.

Watn los Kleena?“fragte mich eine Hippiefrau mit rot weißen Stirmband und Jeansweste. „Biste dit erst mal bei Union?“

Ich nickte. „Ach schön. Dann komm mal her, den Tag sollste nicht vagesssen!“ Und ehe ich mich versah drückte sie mich an sich und schob mir ihre Zunge in den Mund. Ich ließ sie einfach machen, die wußte eh besser wie das geht. Und das fühlte sich super an.

Als ich zurück im Block war, hatten Kai und der Jochen die Pulle ausgesoffen. Der Alte saß auf der Erde und schnarchte lauf, während Kai sich am Geländer festhielt und schwankte wie ein Blatt im Wind.

Ick gloob ick bin total hacke“ lallte er. Kurz nach dem Anpfiff der zweiten Halbzeit mussten Manuela und ich ihn aus dem Block bringen. Und so stand ich zum zweiten mal an diesem Nachmittag am Stinkzaun und hielt Kai fest, damit der beim Kotzen nicht umfiel.

Ick hab den nochma jefragt, wie der den Fusel durch die Kontrolle … bäääh…. jekriegt hat…. Bäääh… wos dunkel und warm is, hat er jesagt…. Bääääh… Alta, ick hab Arschschnaps jetrunken… bähhh… und jetzt bin ick im Arsch…. bähhh

Aus dem Stadion brüllte es „Einbuddeln, weiterspielen“. Und ein gellendes Pfeifkonzert setzte ein. Ich hätte gerne gewusst, was da passierte.

Können wir jetzt gehen? Ich kotz auch gleich, wenn ich den Gestank noch eine Minute länger ertragen muss!“ sagte Manuela irgendwann. Kai würgte noch mal und dann zogen wir los.

 

Auf dem Weg aus dem Stadion entdeckten wir den dicken Wenzel. Er stand am Bratwurststand.

Boah geil ey, die beste Wurst die ick je jejessen habe!“ erklärte er begeistert, und mit senfverschmiertem Mund.

Weil Kai so dicht war, konnten wir nicht mit der Straßenbahn fahren, sondern mussten nach Spindlersfeld laufen. Wenzel und ich hatten ihn untergehakt und Fetti erzählte begeistert, das er fünf Würste gefressen hatte. Alle umsonst, weil er beim Brötchenaufschneiden geholfen hatte. Vom Spiel hatte er gar nichts mitbekommen. War ihm aber egal. Kurz vor Spindlersfeld, schlief Kai mitten im laufen ein und wir machten Pause auf einer Parkbank. Kai schnarchte, und wir rauchten Neue Juwel. Dann kamen die Bullen.

Guten Tag Jugendfreunde. Unterwachtmeister Schädlich. Die Personalausweise mal bitte zur Kontrolle! Ist hier Alkoholmissbrauch von Minderjährigen im Spiel?“

Ich war der einzige der schon einen Perso hatte, die anderen drei waren ja noch 13. Ich gab dem Bullen meinen Ausweis. Hinten war ein Bild von Nena unter der Klarsichtfolie.

Ein Personalausweis ist ein Dokument und kein Poesiealbum. Das Bild verschwindet umgehend“ sagte der Bulle, genau in dem Moment, als der dicke Wenzel plötzlich aufsprang. Er war ganz grün im Gesicht und kübelte dem Bullen vor die Füße. Und zwar ne richtig volle Ladung.

Das fand der gar nicht lustig. Er schubste den Wenzel von sich weg, so das der in eine andere Richtung kotze. Und zwar direkt auf Manuelas Jeans. Die schrie auf: „Iiiieeh Fetti, du dumme Sau! Ich mach dich kalt!“

Schuldigung! Die Stadionwurst muss schlecht gewesen sein!“

Also kein Alkohol?“ fragte der Bulle.

Nee, einfach zu viel gegessen!“

Gut, dann bringt den da sicher nach Hause!“ Er zeigte auf Kai. „Und beim nächsten Mal“ diesmal zeigte er auf Wenzel „Putzt du meine Schuhe! Und zwar mit der Zunge. Verstanden?“

Wir nickten.

 

Als der Bulle weg war, weckten wir Kai und verzichteten lieber auf die S-Bahn. Kai konnte wieder einigermaßen laufen, ich hatte ihn aber Sicherheitshalber weiter untergehakt. Manuela trat im Minutentakt in Wenzels Arsch und beschimpfte ihn als Schwulette.

Ey, wollen wir noch ins „Waldland“ gehen? Und Oberliga Zusammenfassung anschauen? Weeß ja keena von uns, wie dit Spiel überhaupt ausgegangen ist!“ fragte Kai.

Au ja!“ rief Wenzel. „Da jibst die beste Bockwurst von janz Oberspree, ick hab echt Knast. Is ja nüscht mehr drin in meinem Bauch.

Mit vollgekotzer Hose? Oder wie? Jeht jar nich. Und dit allet wegen der Schwabel-Schwuchtel!“ kreischte Maunela und trat noch mal volle Kanne in Wenzels Eier.

Meene Schwester hat da n Jarten. Die leiht dir ne neue Hose!“ sagte Kai und so bogen wir in die Gartenkolonie Waldland ab.

Kais Schwester war schon 22, hatte riesige Kürbisse untern Nicki und musterte uns zweifelnd.

Echt jetzt? Du bist total blau, deine Freundin braucht ne neue Hose und dann wollt ihr nochmal in die Kneipe gehen? Ihr seid doch total bescheuert!“

Ihr Mann nahm sie in den Arm und sagte: „Is doch cool! Dit is Union Nachwuchs. Die müssen so sein. Weeste noch wie wir 76 beim Derby hinter der Anzeigetafel gefickt haben?“

Hälst du die Fresse!“ fauchte sie.

 

Und dann gingen wir los. Manuela hatte eine hautenge hellblaue Trainingshose an, die echt geil aussah und Kais Schwager machte uns einen Tisch in der Kleingartenkneipe klar.

Wenzel bekam zwei Bockwürste und eine große Tasse Wurstwasser. Wir anderen jeder ein Bier.

Tja und dann sahen wir Sport Aktuell. Es gab eine Riesen Aufregung. Wegen dem Union-Spiel. Weil irgendein Mongo ein Feuerzeug geschmissen und einen Frankfurter Spieler damit außer Gefecht gesetzt hatte. Und in der 89. Minute hatte dann Frieder Andrich auch noch das 1:1 geschossen.

Zu Hause bekam ich von meiner Mutter eine geklatscht, weil ich im Kino getrunken hatte. Und wohl doch Schweinskram geguckt hatte. Mir war das egal. Ich lag im Bett, sah rot-weiße Sterne und war glücklich. Was für ein Tag!

Ich war mit dem Union-Virus infiziert. Und ich hatte nicht nur mein erstes Spiel in der Försterei erlebt und zum ersten mal mit Zunge geküsst. Nein!

Denn auf dem Rückweg vom Waldland hatte mich Manuela plötzlich festgehalten und gesagt: „Hab jenau jesehen, wie du dich mit der Ische jeknuscht hast. Denn weeste ja jetzt, wie dit jeht. Oder?“

Ja! Das wußte ich!

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